Wacken Open Air 2018
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DAS Metal-Festival Nr.1, die 29. Auflage!

Das Wacken Open Air öffnet in diesem Jahr zum 29. Mal Tor und Tür für rund 75.000 Besucher aus aller Welt. Apropos “alle Welt“: Natürlich findet auch 2018 wieder ein Finale des Wacken Metal Battle statt. Im großen Festzelt sind die Konfettireste der letzten Nacht zusammengekehrt worden. Die Battle Finalisten stellen nun zum fünfzehnten Mal ihr Können auf zwei nebeneinander aufgebauten Bühnen für jeweils zwanzig Minuten im Wechsel unter Beweis. Wer gewinnt, entscheidet eine dreiköpfige Jury.

Am Ende setzen sich DIE FROM SORROW aus China gegen insgesamt 28 Konkurrenten durch und räumen neben 5000€ aus der Kasse der Wacken Foundation unter anderem auch eine freie Musikvideoproduktion im Wert von 4000 € sowie einen Auftritt auf dem “Full Metal Holiday Festival: Destination Mallorca“ ab.

In Florida sind “Dismemberment, Cannibalism and Death“ die drei großen Säulen; zumindest wenn es nach Sänger Matt Harvey geht. Getreu diesem Motto sorgen GRUESOME auf der Headbangers Stage für große Begeisterung. Eine ordentliche Anzahl an Freunden der alten Schule hat sich zur kollektiven Verbeugung vor dem Werk von Evil Chuck zusammengefunden. Binnen einer Dreiviertelstunde verfliegt jeder Zweifel daran, dass jedwede relevante musikalische Entwicklung innerhalb des Death Metal im 20. Jahrhundert und zu Mr. Schuldiners Lebzeiten stattgefunden hat.

Auch BEHEMOTH scheinen um die Gunst ihrer Fans zu buhlen. Am Nachmittag reden sie Tacheles zum neuen Album “I Loved You At Your Darkest“. Das Werk wird am 05. Oktober dieses Jahres das Licht der Welt erblicken und das polnische Black Metal-Quartett schafft es auch dieses Mal wieder, Provokation und Tiefgang unter einen Hut zu bekommen. Sämtliche Artworks der neuen Scheibe sind thematisch eng an die Bibel angelehnt, eines zeigt Frontmann Nergal als Jesus; an ein umgedrehtes Kreuz genagelt. Auch der Albumtitel ist ein Zitat des Messias und soll für Empathie, Leidenschaft und Respekt gegenüber gefallenen Helden stehen. “I Loved You At Your Darkest“ wird schlussendlich eine Geschichte erzählen, die aus dem Geflecht aller Songs entsteht.

Zwei neue Songs präsentieren BEHEMOTH neben Klassikern wie „Blow Your Trumpets Gabriel“ am frühen Abend mit Corpse Paint und Pyrotechnik bewaffnet auf der Harder Stage. “GOD=DOG“ ist die erste bereits veröffentlichte Single, die wie ein majestätisches Kriegsschiff neben einigen Crowdsurfern über die Meute segelt. Vereinzelte sakrale Gesangselemente, drückende Drums und die pralle Abendsonne schaffen zusammen so manchen unvergesslichen Konzertmoment.

Mit DANZIG marschieren direkt im Anschluss gleich mehrere Metal-Urgesteine auf die benachbarte Faster Stage. Kopf und Namensgeber der Band Glenn Danzig ist nach mehr als 30 Jahren Bühnenpräsenz nach wie vor ein wahres Tier am Mikrofon. Dass seine Stimme mittlerweile ebenso ausgedünnt ist wie sein Haar, tut der Stimmung keinen Abbruch. Zugkraft liefert nicht zuletzt der ehemalige TYPE O NEGATIVE-Drummer Johnny Kelly.

Während DANZIG die Menge weiter anstachelt, ziehen in der Dämmerung vereinzelt Black Metal-Grüppchen durch ein staubiges Schlachtfeld, das immer noch glüht. Auf der Headbangers Stage haben nämlich WATAIN das Tor zur Hölle geöffnet – die Bühne versinkt in einem Meer aus lodernden Flammen und Petruskreuzen. Dazu zelebrieren sie feinsten Underground Black Metal.

Allmählich vibriert derweil die hitzige Luft vor den Hauptbühnen. Alles, was Rang und Nieten hat, ist nun versammelt und wartet ungeduldig auf das Herabsteigen der Metal-Götter JUDAS PRIEST.
Nach drei Jahren ist die mittlerweile dienstälteste Metalband dieses Planeten zurück bei ihrer treuen Anhängerschaft.
Beim obligatorischen „War Pigs“-Intro von BLACK SABBATH betet diese nur noch „Priest, Priest“ vor sich hin. Der knackige „Firepower“-Auftakt zeigt eindrucksvoll: Die Band steht ihrem großartigen Live-Album “Battle Cry“ auch heute in Nichts nach. Ihre Hits klingen genauso tight wie die nietenbesetzte Lederhose an Richie Faulkner.
Sängergott Rob Halford kreischt mit annähernd 70 in nur einer Tonlage unter dem Original!
So zahlen sich über 30 Jahre Abstinenz sämtlicher Drogen eben auch stimmlich aus. Die British-Heavy-Metal-Legende holt für “Metal Gods“, “Breaking The Law“ und, kurz vor 12, auch „Living After Midnight“ den an Parkinson erkrankten Riffmaster Glenn Tipton zurück auf die Bühne. Die harten Jünger in Wackens Staubwüste sind fast zu Tränen gerührt. Die Wirkung dieser Band wird alle Zeiten überdauern, denn diese puren Metalsongs kennen keine Sanduhr.


Neuer Tag – neue Hitze

Ohne viel Schnickschnack erreichen DARK TRANQUILLITY auf der Louder Stage mit emotionsgeladenem Melodic Death Metal die Herzen ihrer Gefolgschaft. Die Lautstärke ist zunächst noch recht gering. Dafür drehen die Schweden umso mehr an den Sympathiereglern: Die bandinterne Harmonie scheint greifbar. Das musikalische Repertoire bedient sich hauptsächlich des “Atoma“-Albums und weniger alter Stücke wie “Lost To Apathy“.

Sowohl in den klaren Vocals als auch im kratzigen Growling von Sänger Mikael Stanne finden sich Kraft und Leidenschaft im Überfluss. Instrumental wie gesanglich liefern DARK TRANQUILLITY ganz großes Kino!

Apropos skandinavische Leidenschaft: Bei der vielleicht unpassendsten Überschneidung im diesjährigen Line-up muss sich der Fan nordischen Metals zwischen Schweden und Finnland entscheiden. Auf der Faster-Hauptbühne geben sich nämlich AMORPHIS die Ehre. Wie keine andere Band ihres Landes schaffen sie es schon seit Jahrzehnten, Geschichten aus der finnischen Mythologie packend in die Metal-Gegenwart zu transportieren. Zum Glück muss hier also schon beim neuen „The Bee“ kein Funke mehr überspringen.
Es herrscht übrigens sengende Mittagshitze in Wacken. Trotz allem finden sich Tausende auf dem glühenden Platz vor der Bühne ein. An dieser Stelle muss bewundernd festgestellt werden, wie mit den mehr als 40 Wasserfüllstationen (kurz vor Festivalstart nochmals aufgestockt) wirklich gefährliche Situationen vermieden wurden. Respekt!
Der Growl- wie auch Klargesang beherrschende Tomi Joutsen heizt derweil die Fans mit einem Hit nach dem anderen weiter auf.

Wenn das Keyboard mit dem Tempo der Flying-V-Gitarre mithält und ein gefühltes Drittel des Publikums von den letzten Rängen vor die Bühne surft, ist eines klar: Die Hatecrew steht wieder auf dem Plan! Seit ’98 beehren CHILDREN OF BODOM das Wacken Open Air nun schon zum achten Mal und haben die Massen immer noch voll im Griff. Die Wacken-Wüste feiert Gitarrengott Alexi Laiho, der mit Evergreens wie “Needled 24/7“, “Are You Dead Yet?“ und “In Your Face“ routiniert durch die staubige Luft prescht.

All jene, die Schatten suchen und trotzdem auf die Mütze wollen, sind indes bei DESTRUCTION auf der Wet Stage genau richtig. Der Andrang ist gewaltig. DESTRUCTION geben den Takt dazu vor – Thrash Metal zum Mitgrölen mit einer Prise Heavy Metal, der vor allem im Gesang durchblitzt. Die Stimmung ist ausgelassen; überall bilden sich kleine Mosh und Circle Pits.

DORO gibt vor allem die Hits zum Besten, die sie mit ihrer alten Band WARLOCK berühmt gemacht haben. Prominente Verstärkung auf der Bühne gibt es auch: Mit ihren Jugendhelden Andy Scott und Peter Lincoln von THE SWEET covert sie “The Ballroom Blitz”. Oberwikinger Johan Hegg von AMON AMARTH wird heftiger begrüßt – mit ihm gibt sie gleich zwei Midtempo-Songs zum Besten. Klar, beide sind auf ihre Art hundert Prozent true und verkörpern so die etwas theatralische Beauty-Beast-Thematik perfekt.

Mehr noch als auf ALESTORM, die mit ihrem Piraten-Schunkel-Metal „We Are Here to Drink Your Beer“ und massenhaft auf dem Boden sitzenden Fans das Piratenboot auch über den heiligen Acker rudern, warten in diesem Jahr viele Fans aus aller Welt (Chile-, Schweden- und Brasilienflaggen gesichtet) nur auf einen: Er nennt sich Rock ’n’ Rolf und gehört zu RUNNING WILD. Eine deutsche Kultband, die so gut wie keine Touren spielt und seit Jahren in der Heimat nicht zu sehen war. Dafür entern sie Wacken im Sturm und feiern tatsächlich mit brillantem Sound das schon 30jährige Jubiläum ihres bekanntesten Albums „Port Royal“. Wie zeitlos Störtebeker-Hymnen wie „Bad To The Bone“ oder „Under Jolly Roger“ doch sind.

Gegen Mitternacht stehen OTTO (Waalkes) & DIE FRIESENJUNGS auf der krass gemixten Bühne. Wohl nur wenige wussten, dass Ott schon weit vor seiner Comedy-Karriere Musik machte und die Gitarre blind beherrscht. Kann man durchgehen lassen.

Ein riesiger einarmiger Bandit kündigt die Band auf einer großen Leinwand an. Als alle Felder auf GHOST stehen, schreit das Publikum begeistert auf. Vor einer gigantischen kirchlichen Theaterkulisse steht nun Frontmann Tobias Forge mit seinen sieben nameless Ghouls. Elegant und einheitlich in schwarzem Frack gekleidet, die Köpfe mit silbernen Teufelsmasken geschmückt, bewegen sie sich agil über die Bühne und gehen neben ihrem Sänger keineswegs unter. Jeder einzelne von ihnen scheint sein Instrument in Perfektion zu beherrschen. Mit dabei natürlich “Dance Macabre“ vom jüngsten Album “Prequelle“ und der obligatorische Abgang zu “Monstrance Clock“ mit dem Anliegen, auch in dieser Nacht dem weiblichen Orgasmus zu frönen.


Freddy, Hoya und Mitstreiter leben ihre Musik, was sie auf der Bühne abziehen ist keine einstudierte Show im Sinne des Entertainments. Sie unterhalten aber gerade deshalb extrem intensiv und interaktiv. Freddy Cricien ist ohnehin schon eine beeindruckende Erscheinung, wirbelt dazu wie angezündet kreuz und quer über und von der Bühne, schwitzt, röhrt und gewinnt wie kaum ein zweiter Frontmann im Zelt. Er bedankt sich mehrfach bei den Metalheads für ihr Interesse und wenn die Herren auch noch irgendwo Vinnie Stigma als Stargast aus der Hosentasche gezaubert hätten, wäre die Nummer mit „Start A Revolution“ vom Zelt aus vielleicht gar nicht mehr so illusorisch gewesen. MADBALL – wer nicht dabei war, darf sich schwarz und blau ärgern.

Im Zelt ist derweil Primetime für HELMET: Der etwas gealterte Page Hamilton und seine Kompagnons machen einiges richtig: Zum Einstieg und zum Ende gibt es „Meantime“ – zuerst „Unsung“ und zuletzt das Titelstück. Dazwischen gibt es ein Best-Of-Set, das schwerpunktmäßig etwa ein Vierteljahrhundert auf dem Buckel hat.
Der charakteristische HELMET-Groove funktioniert jedenfalls auch 2018 auf einem Mainstream-Metal-Festival. Herr Hamilton hat Bock, bedankt sich mehrfach artig mit „schönen vielen Dank“ und ausreichend kleine Hits hat er ohnedies in petto. Auch diesseits der grandiosen Noise-Rock-Anfangsjahre können mindestens das erwähnte „Meantime“-Album, aber auch „Betty“ immer noch alles. „Wilma’s Rainbow zum Beispiel ist unkaputtbar. Und auch „Just Another Victim“ wird vom Publikum dankbar aufgenommen.

Der Begriff „Perfektion“ sollte natürlich nicht inflationär verwendet werden. Das, was HELLOWEEN als die „Pumpkins United“ jedoch am Abschlussabend zaubern, lässt nicht nur alten Hasen den Atem stocken. Wie kann ein gesamter Auftritt zumindest soundtechnisch nur so makellos sein?
Bei der Herbst-Tour munkelten wenige, da könne nur Playback im Spiel sein, doch dieser Gig wirkt dazu viel zu flüssig, spontan und spielfreudig. Die seltsamen Intermezzi sind schnell vergessen. In denen werden unter anderem witzlose Animationen der „Seth and Doc“-Kürbisse gezeigt, um der Band eine Atempause zu gönnen. Angefangen vom obligatorischen „Halloween“ und „Dr. Stein“ über „Keeper Of The Seven Keys“ bis zum Grande Finale mit „Future World“ und „I Want Out“. Für manchen der deutsche Gewinner des Wacken in diesem Jahr.

Viele haben schon nicht mehr an die Rückkehr einer Band geglaubt, die den Melodic Black Metal zum Weltklasse-Format werden ließ: DIMMU BORGIR waren vier Jahre wie vom Erdboden verschwunden. Davor hatten sie alles durch, was man als Band bewerkstelligen kann; inklusive opulentem Live-Album mit Orchester. Dass die Norweger diesem Wacken gefehlt haben, stellt sich kurz nach Mitternacht bei einem atmosphärisch gelungenen Gig heraus. Erstaunlich, dass die Synth-Passagen des neuen Albums gar nicht übermäßig auffallen. Bei aller Perfektion springt der Funke jedoch nicht völlig über. Das kann so kurz vor dem Abschiedsgruß der Veranstalter natürlich an den ausmergelnden drei Tagen zuvor liegen, vielleicht aber auch am Fokus, der auf den Songs der letzten beiden Alben liegt. Alle Achtung jedoch an Sound und Performance und ein mahnender Blick geht an jene, die sich sogar beim ewigen Melodic Black-Vorzeige-Song „Mourning Palace“ nicht mitreißen lassen.

An dieser zugegeben etwas späten Stelle sei schließlich nochmal auf die enorme Stil-Vielfalt hingewiesen, für die sich das Wacken nicht nur durch das Metal Battle auszeichnet. Jeder soll hier fündig werden, weshalb auch unbekannteren Acts eine große Chance gegeben wird. Modernere Spielarten wie Postcore, Screamo oder sogar Progressive Metal sind vielleicht weniger vertreten, aber gerade durch die industriell angelegte Wasteland Stage kann man allerhand Mystisches oder Grenzen auslotendes erleben.

See you in 2019 zum 30-jahrigen-Jubiläum. Rain or Shine!

 

BILDERGALERIE

 

Wir danken: Holger, Thomas und dem W:O:A-Team sowie allen, die unsere Arbeit vor, während und nach dem Festival unterstützt haben (you know who you are...)