Wacken Open Air 2013
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Freitag

Ist es wirklich gerade erst 11:00 Uhr? Das mag man bei der großen Menge von Menschen, die sich hier und jetzt das moderne Geballer von NEAERA geben wollen, kaum glauben. Ich kann mich nicht daran erinnern, wann der Platz zu so früher Zeit (und bei derartiger Hitze) schon einmal so gut gefüllt war. Davon ist die Band selbst auch mehr als angetan, was sich natürlich unmittelbar in einer wunderbar aufgedrehten Performance wiederspiegelt. Der Sound lässt anfangs noch zu Wünschen übrig, pendelt sich dann mit der Zeit aber ein, so dass die ordentliche Knüppel-Beschallung die Lebensgeister wieder weckt. Fronter Benny ärgert sich über die große Distanz zwischen Bühne und Publikum, würde er doch am liebsten in eben jenes hineinspringen. Da dies allerdings olympiaverdächtig wäre, bleibt es beim Ausrasten auf der Bühne. Der Funke springt absolut über, wenngleich das Publikum zwar mit-, jedoch noch nicht kollektiv steil geht – vermutlich dem Wetter geschuldet.

Die Goth-Metal Band TRISTANIA hat es nicht ganz leicht. Am heißesten Tag des Festivals müssen sie um 12:15 Uhr raus auf die True Stage und zeigen, dass sie auch bei 40 Grad das Publikum begeistern können. Und überraschenderweise haben die Norweger damit keine Probleme. Trotz der sengenden Sonne haben sich viele vor der Bühne platziert und mit dem Intro - laute Orgelklänge unterlegt mit Vogelgezwitscher - erheben sich die allermeisten der Zuhörer vom staubigen Boden. Den Einstieg in die Setlist macht ein Duett vom aktuellen Album. Bei 'Number' zeigt Mariangela "Mary" Demurtas, dass sie nicht zu Unrecht nach "Rubicon" (2010) bereits das zweite Studioalbum mit der Band eingespielt hat. Kjetil Nordhus, Sänger und immerhin schon seit 2009 fester Bestandteil der Gruppe, bestreitet auch das nächste Duett. 'Beyond The Veil' ist für den heutigen Gig aber eine Ausnahme. Der Titelsong des zweiten Studioalbums kommt deutlich purer und härter daher, als spätere Produktionen. Der Stilwechsel, den die Band seit ihrer Gründung 1996 vollzogen hat, ist bei den beiden letzten Studioalben am deutlichsten zu hören. Vermutlich ein Grund, weshalb sieben der zehn Songs heute von den beiden letzten Alben stammen. 'The Wretched' ("Ashes", 2005) und 'The Shining Path' ("World of Glas", 2001) als vorletzter Song sind da erfrischende Ausnahmen zwischen den sehr epischen Klängen, die den Hauptteil der Show ausmachen.

Mit einem verwaschenen Sound ist das so eine Sache: Der ein oder anderen Thrash-Band steht das richtig gut zu Gesicht, für einen progressiven Künstler ist es die Hölle auf Erden. Die Franzosen von GOJIRA stehen stilistisch irgendwo in der Mitte, wodurch das, was die Lauscher erreicht, im Prinzip nur den wirklichen Metaller zufriedenstellen kann. Das ist zumindest teilweise schade, da die Musik des Vierers wirklich viel zu bieten hat. So bleibt es aber bei einem ordentlichen Thrash-/Death-Brett (mit hin und wieder vernehmbaren technisch versierten Stellen), das einfach zum Kopfschütteln und Moshen einlädt. Darauf scheint die Band am heutigen Tage auch primär Bock zu haben: Gezaubert wird wann anders, Wacken ist eine Metalparty! Die Zuschauerreaktionen sind richtig gut, die Gruppe verlässt die Bühne (nach einer inszenierten Zugabe) unter großen Applaus. Eine gute Performance einer Band, wobei die (bei anderen Rahmenbedingungen) sicher zu noch mehr in der Lage ist. Und der ein oder andere, der GOJIRA vorher nicht kannte und hier nun für gut befunden hat, wird bei der weiteren Beschäftigung noch einiges entdecken können.

Um 13:30 Uhr ist es Zeit für EISBRECHER auf der Party Stage. Eine Abkühlung täte wohl jedem gut, aber den Gefallen tut uns die Band um Alexx Wesselsky nicht. Sofort mit dem ersten Song 'Exzess Express' vom aktuellen Album machen sie deutlich, dass es ganz sicher kein Hitzefrei gibt.  'Willkommen im Nichts' und der Titelsong zu ihrem zweiten Album "Antikörper" aus 2006 werden von einem neuen Song, 'Augen unter Null', eingerahmt. Mit dieser Mischung aus älteren und neuen Stücken fahren die Jungs auf der Bühne sehr gut. Das Publikum lässt sich trotz gefühlter 40 Grad in der Sonne mit Songs wie 'Prototyp' und 'Heilig' zum mitfeiern animieren. Von meinem Schattenplätzchen aus kann ich die Bühne zwar nicht komplett einsehen, der Sound ist aber so sauber, dass sich ein Großteil der Stücke orginal wie auf Platte anhört. 'Prototyp', ein Titel vom letzten Album "Die Hölle muss warten", macht mit einigen wenigen Textumdichtungen da eine erfrischende Ausnahme. Auf der Bühne selbst passiert nicht viel, was ich verpassen könnte. Schlicht schwarz gekleidet, keine große Show; von Pyro oder Ähnlichem macht EISBRECHER keinen Gebrauch. Uhrzeit und Außentemperatur machen das aber verzeihlich. Stattdessen kommen von Alexx zwischendurch ein paar markige Sprüche, vor allem bezogen auf den kurzen Gastauftritt von Heino am Vorabend. Ganz so wie erwartet kommen auf die Frage "Wollt ihr lieber Heino hören" ein laute Buh-Rufe aus dem Publikum zurück und der Frontmann scheint zufrieden mit dieser Reaktion. Mit 'Verrückt' und 'Miststück', ein Cover aus alten MEGAHERZ-Tagen, verabschiedet sich die Band von ihrem Publikum.

Nach der (für das Festivalpublikum) etwas zu komplexen Mucke von GOJIRA geht es auf der True Metal Stage leichter verdaulich mit den Senkrechtstartern von POWERWOLF weiter. Das neue Album hat ja jüngst sogar die Charts erklommen, Kritiker und Fans sind voll des Lobes und jetzt spielt man auf der Hauptbühne in Wacken. Steile Karriere, woran liegt das wohl? Auf jeden Fall an der Live-Tauglichkeit der Combo, denn die Musik Powerwolfs wurde einfach für die Bühne gemacht. Egal ob 'Sanctified With Dynamite', 'We Drink Your Blood' oder die neue Nummer 'Amen And Attack': Jeder Song ist ein Mitsing-Hit. Das Publikum trotzt der extremen Hitze und belohnt die Jungs für ihre schweißtreibende Show mit tosendem Applaus. Das neue Album "Preachers of the Night" kommt mit drei Nummern zum Zug und wenn es nach den mitsingenden Zuschauern geht, hat es die Platte längst in die höchsten Sphären geschafft.

Nachdem bereits SICK OF IT ALL das Wacken beehrt hat, folgt nun die nächste NYHC-Legende: AGNOSTIC FRONT ist bereit, den anwesenden Metallern eine ordentliche Party zu bescheren. Und das gelingt ihnen deutlich besser als man hätte erwarten könnten: Sehr viele Leute sind erschienen, um mit Vinnie Stigma und Roger Miret zu feiern. ANGOSTIC FRONT lässt hier nichts anbrennen und spielt all seine Stärken aus. Fraglos ist so eine Truppe auf anderen Festivals wie dem With Full Force noch besser aufgehoben, jedoch hat dieser Gig gezeigt, dass Hardcore auch auf dem Wacken funktioniert. Roger Miret sprach selbst davon, dass er schon immer auf diesem Festival spielen wollte.

Trotz Krankheit, Operation, der damit verbundenen langwierigen (und andauernden) Genesung und der Absage von sämtlichen Sommer-Terminen entschließen sich MOTÖRHEAD dazu, den Gig auf dem Wacken nichtsdestotrotz zu spielen. Ein starkes Zeichen, weshalb die omnipräsente Band hier wirklich mit großer Spannung erwartet wird. Und zu Beginn ist auch alles wie immer: Gegrummelte Ansagen, die nur jeder Dritte wirklich versteht, eine ordentliche Portion Dreck in allen Kanälen und die Routiniers startet ihren Siegeszug. Als nach 'Over The Top' jedoch bereits an sechster Stelle ein (starkes!) Gitarrensolo folgt, machen sich auf den Gesichtern einiger Fans schon die ersten Sorgenfalten breit. Nach 'The Chase Is Better Than The Catch' verlässt die Band dann geschlossen und wortlos die Bühne. Viele ahnen bereits, was Sache ist, und wenige Minuten später gibt der Veranstalter bekannt: Lemmy geht es nicht gut, Feierabend. Was folgt, ist dann wirklich großes Kino: Applaus und Sprechchöre für Lemmy und MOTÖRHEAD. Es war vermutlich nicht die klügste Idee, heute die Bühne zu betreten, aber das Zeichen ist ein solch starkes, dass es den Fans lange in Erinnerung bleiben wird. Get well soon, Lemmy.

Es gibt wohl kaum eine Künstlerin, über deren Wacken- Auftritte so häufig geschrieben wird. Kein Wunder, denn DORO Pesch ist eine sichere Bank, wenn es um die Running Order des jährlichen Festivals geht. Da liegt es nahe, dass auch das 30jährige Bühnenjubiläum in diesem würdigen Rahmen "über die Bühne geht". Ihr Auftritt am Freitagabend beginnt entsprechend. Ein Einspieler mit Bildern ihres Werdeganges unterlegt mit emotionaler Musik - die Queen of Metal perfekt inszeniert- Das Motto des Abends "30 Years strong and proud" dürfte jetzt bei jedem Zuschauer angekommen sein.  'Burning The Witches', aus der früheren WARLOCK-Zeit macht den Anfang an diesem Abend. Mit Flammen im Hintergrund fegt Doro in ihrem wie immer körperbetonten glitzer- und fransenlastigen Outfit von einer Bühnenseite zur anderen und gibt sich größte Mühe das Publikum mitzureißen. Wer so wie ich weit hinten steht, lässt sich davon nicht aus der Ruhe bringen; die Meute vor der Bühne tut der Düssedorferin aber weitestgehend den Gefallen und lässt sich ausreichend animieren. Bevor es mit 'Rock Till Death' weitergehen kann, sagt Doro das, was alle hören wollen: "Lemmy is fine". Der Frontmann von MOTÖRHEAD, die unmittelbar vor DORO an diesem Freitagabend auf der Bühne standen, musste seinen Auftritt vorzeitig beenden. Nachdem die Zuhörerschaft damit also beruhigt ist, kann auch Chris Boltendahl (GRAVE DIGGER) sein Stelldichein auf der Bühne geben. 'East Meets West', der nächste Titel, ist nur die Vorbereitung auf die große Hymne 'We are the Metalheads'. Ein Gitarrensolo vorweg sorgt vermeintlich für mehr Spannung. Wer jetzt im Publikum noch nicht mitsingen kann, hat sich definitiv vor die falsche Bühne gestellt. Damit die Stimmung auch erstmal in diesen Sphären bleibt, stimmt DORO im Anschluss 'Raise Your Fist In The Air' an. Johnny Dee gibt bei dem sehr, sehr ausführlichen Schlagzeugsolo alles. Ob solche künstlichen Verlängerungen bei allen Zuschauern so gut ankommen, darüber kann ich nur mutmaßen. Doch beim nächsten Lied kommt die Stimmung wieder nur sehr schleppend in Fahrt. Für 'Denim and Leather' gibt sich Biff Byford (SAXON) selbst die Ehre und sollte ein Garant für ordentliches Headbanging sein. Leider ist im Publikum von Action nicht viel zu sehen. Da es eh schon so gesittet zugeht, passen die nächsten zehn Minuten gut in das Konzept. Zusammen mit Uli Jon Roth stimmt DORO ihre deutsche Single 'Für Immer' an, ein Song für ihren langjährigen Freund und Kollegen Ronnie James DIO. Es wird sentimental und DORO zelebriert das Andenken an den verstorbenen Künstler ausgiebig und mit viel Herzblut. Als nächstes geben sich Eric Fish, "Frau Schmitt" Silke Volland (SUBWAY TO SALLY) und Phil Campbell (MOTÖRHEAD) die Klinke in die Hand. 'Breaking The Law' schafft es dann tatsächlich noch einmal, die Metaller aufzuwecken und das Finale mit 'All We Are' vorzubereiten, bei dem alle zusammen auf und vor der Bühne nocheinmal ihr Bestes geben. Alles in allem liefert DORO wie immer einen soliden Auftritt ab. Nach 30 Jahren auf der Bühne ist das aber für niemanden eine Überraschung.

Im Zelt

Der Andrang vor LEGION OF THE DAMNED ist riesig. Kein Wunder, sind die holländischen Thrasher doch mit ihren letzten Alben stets auf großes Feedback gestoßen. Die Party Stage hätte ihnen sicherlich auch gut gestanden, aber gut, bleiben wir im Zelt, diesmal bei der Headbanger Stage. Der Sound ist die ersten Songs leider unerträglich laut und verzerrt, das stört die meisten aber nicht und schrauben sich dermaßen die Rübe ab, als ob eine neue nachwachsen würde. 'Son Of The Jackal' prügelt alles aus den überhitzten Körpern raus, mit 'Summon All Hate' wird vom bevorstehendem Album (Anfang 2014) ein neuer Song präsentiert. 'Legion Of The Damned' kennen fast alle und recken die Fäuste oder schreien mit Maurice um die Wette.